Im Guardian, den ich auch im Print immer wieder ganz nett finde, fand ich soeben durch Zufall online einen Artikel namens „Ten rules for writing fiction“, Adresse am Ende des Posts. Warum Sie den lesen müssen? Weil hier nicht irgendwelche Theoretiker zu Wort kommen, sondern Praktiker wie Elmore Leonard, Margaret Atwood, Geoff Dyer, Jonathan Franzen, Neil Gaiman, PD James und viele andere. Natürlich sind das alles Schriftsteller und viele von uns „nur“ Sachtexter – aber wie ich auf meinen Schreibtrainings gerne betone: Fast alles, was in der Literatur gilt, gilt auch bei einem guten Sachtext.
Der von mir verehrte Elmore Leonard rät: „Never use a verb other than ’said‘ to carry dialogue.“ Diese Regel beherzige ich seit Jahren aus wahrscheinlich den gleichen Gründen wie er; Kunden hingegen glauben oft, „<Aussage>“, freut sich Oberheinz XY wäre eine unverzichtbare Grundzutat von Pressetexten. „Never use an adverb to modify the verb „said“ . . . he admonished gravely.“, schiebt Leonard schmunzelnd nach. Danke!
Sehr schön auch dieser Hinweis, der auch für Sachtexte gilt: „…leave out the part that readers tend to skip. Think of what you skip reading a novel: thick paragraphs of prose …“
Nun ist es ja so, dass der Sachtexter eine Agenda hat und eine bestimmte Auswahl von Informationen rüberbringen will, ja muss! -, daher beherzigt er diese Regel selten. Hier beißt sich aber die Katze aber in den Schwanz, denn man bringt auch keine Info rüber, wenn der Leser den informationsreichen Teil einfach überfliegt. Hier ist die Kunst der Textstrukturierung gefragt. Jeder Absatz ist eine neue Chance, den Leser wieder in den Text zu holen.
Roddy Doyle hat ebenfalls ein paar gute Tipps auf Lager: „Fill pages as quickly as possible“, rät er zunächst, dann „Until you get to Page 50. Then calm down, and start worrying about the quality.“. Großartig! Schöner hätte ich das nicht sagen können, bei mir lautet das immer so: Schreiben Sie erst mal so viel wie möglich, bis Ihnen die Puste ausgeht. Und schmeißen Sie dann 90 Prozent weg.
Für mich persönlich ist die Kunst des Schreibens nämlich vor allem die Kunst, sich von Geschriebenem zu verabschieden. Es mag Leute geben, bei denen jeder Satz und Absatz sofort sitzt. Ich gehöre nicht zu diesen Genies. Was ich schreibe, finde ich erst einmal schlecht. Die zweite Version ist noch viel schlechter. Erst die dritte wird mir sympathisch. Und so weiter.
Nun könnte man argumentieren, für solche Spielchen fehle einem Lohnschreiber die Zeit. Dem halte ich Zweierlei entgegen:
1. Es gibt keinen Unterschied zwischen einem professionellen Sachtexter und einem professionellen Literaten, nur Auftraggeber und Aufgabenstellung sind verschieden. Beide sollte jedoch verbinden, das bestmögliche Ergebnis (Bestseller, Blümchenlyrik, große Kunst, eine Werbebroschüre) zu produzieren, denn das verstehe ich unter Professionalität. Anders gesagt: Wenn ‚Spielchen‘ helfen, professionelle Ergebnisse zu erzielen, bin ich voll dafür, ey.
2. Der Trick ist natürlich, die erste Version rasant hinzurotzen. Ich behaupte: Viele von uns müssen erst mal die schlechte Fassung eines Textes schreiben, ehe sie die gute schreiben können. An der schlechten führt kein Weg vorbei, und zur guten Version führt ausschließlich der Weg über die schlechte. Daher spricht vieles dafür, die schlechte erste Rohfassung – und ihre Schwester, die erste halbherzige Überarbeitung – so schnell wie möglich hinter sich zu lassen.
Ja, natürlich taugen nicht alle Tipps für „fiction writer“ automatisch für Autoren von Sachbüchern, Informationstexten und was sonst noch so Geld bringt. Dennoch: „Ten rules for writing fiction“ hat mir schon beim Lesen Spaß gemacht, predigt an vielen Stellen dasselbe wie ich selbst immer predige – zum Beispiel: es einfach tun / wenn einem nichts mehr einfällt: ne Pause machen / sich alles selber laut vorlesen – und spiegelt obendrein den Humor einiger der Autoren. Zum Beispiel lohnen schon allein Margaret Atwoods erste Tipps die Lektüre von „Ten rules for writing fiction“: erster Teil hier, zweiter Teil hier – viel Spaß!