Guttenberg-Kritik immer peinlicher

Vorweg: Ich konnte nie verstehen, was die Leute an „Gutti“ finden und war stellenweise auch entsetzt darüber, wie intelligente und meist vernünftige Menschen tatsächlich seinen Adelstitel ins Gespräch brachen, um damit irgendwie vage zu begründen, seine Entscheidungen seien edler oder klüger.

Noch entsetzter aber bin ich über die aktuelle Debatte. Dass der Herr Karl Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Freiherr von und zu Guttenberg auch noch einen Dr. vorne stehen hat, das war mir bis heute kaum bekannt und reichlich egal. Inzwischen weiß ich mehr darüber, als ich je wissen wollte.

In Afghanistan gehen Landsleute drauf, hier wird über Doktortitel diskutiert. In der arabischen Welt findet ein Umsturz statt, der in seinen Auswirkungen möglicherweise der französischen Revolution gleichkommt – bei Anne Will geht’s um den Doktor von Gutti. Das alles, wohlgemerkt, während man in diesem Land seit einem Jahrzehnt die (nicht nur digitalen) Bürgerrechte abbaut und mit Schäuble jemand, der von Waffenschiebern illegale Parteispenden entgegengenommen hat, erst Innen- dann auch noch (welcher Hohn!) Finanzminister wurde.

„Macht Guttenberg fertig!“, lautet wohl die aktuelle, ungeschriebene Parole, und während sich überraschend viele klassische und alternative Medien daran beteiligen, bleiben die wahren Probleme liegen. Warum bitteschön soll Guttenberg seinen Titel abgeben, die Verantwortlichen der Hypo-Real-Estate-Affäre aber ihre Gehälter behalten? Was ist – nur ein Beispiel von vielen – mit den Flugaffären von Gabriel, Künast, Özdemir, Scharping (und Bsirske)?

Verhältnismäßigkeit ist aus der Mode gekommen. Strauss musste wenigstens noch zurücktreten, weil er unrechtmäßig Journalisten verhaften ließ; Barschel aus Gründen, die bis heute in ihrer Gesamtheit wohl offen bleiben müssen – aber wenigstens Gewicht hatten. Die Gründe, die hingegen schon seit Wochen und Monaten gegen Guttenberg vorgebracht werden (Gorch Fock, Kunduz, …) sind für jeden, der seinen Wehrdienst in der Zeit vor dem Mauerfall geleistet hat, einfach lächerlich peinlich.

Ich vermute, der lynchgeile Mob arbeitet sich nur deswegen am Freiherrn ab, um Busse zu tun dafür, dass sie den Götzen vorher über gebührt geliebt und gelobt haben. In solchen Zeiten möchte ich den ‚Titel‘ „Journalist“ zurückgeben.