Heute mal was Informatives: Wie ist eigentlich das schreibende Gewerbe entstanden – und warum steht kaum jemand zu seiner Lust an der nackten Wurst?
Es sind Überschriften wie diese, mit denen Kolumnisten unser Interesse an sich reißen und uns von unserem verdienten Graubrot ablenken wollen – ein alter Trick, den das schreibende Gewerbe schon seit dem Jungpleistozän praktiziert. Er ist genetisch bedingt, weil Autoren gar nicht anders können. Und ich kann Ihnen auch sagen, warum.
Vor Fantastillionen von Jahren, als der Neandertaler mit Blut erste Web-0.2-Portale auf seine Höhlenwände pinselte, war die Welt nämlich noch in Ordnung. Die Frauen blieben zu Hause und jagten Früchte, die Männer zogen los und sammelten Säbelzahntiger. So oder so ähnlich habe ich das jedenfalls in Geschichts-Comics gelernt.
Was aber passierte damals mit den Woody-Allen-Typen, an deren Oberkörpern selbst SuperSlim-Hemden schlackerten? Die Intellektualität kann ja nicht erst mit Jean-Paul Sartre auf die Welt geniest worden sein. Es muß also schon Cro-Magnon-Nerds mit Sommersprossen und Nickelbrille gegeben haben, die einfach zu klug waren, den neuesten Faustkeil zu bedienen, oder zu schwach, ihn hochzuheben.
Ohne Faustkeil keine Jagd. Ohne Jagd keine Beute. Was also machten die Schwächlinge am Ende des Tages, wenn die anderen (harten) Männer von der (erfolgreichen) Jagd kamen und reichlich saftige Schnitzel und kuschelige Pelze im Gepäck hatten, die Schwächlinge aber nichts als Blasen an den Füßen und Schrammen im Gesicht vorweisen konnten? Wer kein Fleisch aufzutischen hat, der tischt besser ganz geschwind eine gute Geschichte auf. Am besten eine, die verdammt plausibel darlegt, warum’s im Hause Neandertal 17b heute schon wieder kein Mastodon-Schnitzel gibt. Jede Wette: Wer hier was Spannungsreiches zu sagen hatte, durfte auch mal bei den anderen naschen.
So entstand die Tageszeitung.
Damit die Nachbarn bei der Story anbissen, mußte man sie erstmal neugierig machen. Die hatten nämlich einen langen und schweren Tag hinter sich, eigentlich nur noch Bock auf eine Scheibe was Blutiges, danach drauf auf die knapp befellte Frau und ab in die Höhle, um sich den Serienstart der neuen Staffel des aktuell beliebten Höhlengleichnisses anzugucken.
Man sieht: Die Aufmerksamkeitsspanne hat sich bis zum modernen Angestellten kaum verändert. Nach acht Stunden Dauersurfen in der Bürokratie liest so einer auch keinen kompletten Proust mehr, es sei denn, der wird mit knackigen Worten angepriesen. Zum Beispiel: „In der Not schmeckt die Wurst auch ohne Brot.“ Das zieht den Leser direkt in die Story, da sagt einfach jeder: „Ja klar, Mensch! So ist es! Dieses verdammte Brot! Warum eigentlich legen wir die leckeren Wurstscheiben immer auf diese trockenen Teigscheiben?“
Ein internationales Problem. Die Japaner zum Beispiel legen leckeren Fisch auf trostlosen Reis. Die Italiener belegen brackige Hefeböden mit leckerem Thunfisch-Zwiebel-Gemisch. Und die Hawaiianer greifen zu Schinken, Scheibenkäse und Ananas, um damit ihre trockenen Toasts runterzuwürgen.
Doch in der Not schmeckt die Wurst eben auch ohne Brot. Dreht man den Spruch um, kommt heraus: Auf dem reichen Höhepunkt einer fortgeschrittenen Zivilisation schmeckt das Brot auch ohne Wurst. Das bedeutet, wir befinden uns an diesem Höhepunkt. Denn Brot ist angesagt. Niemand würde Sie anklagend fixieren und „J´accuse!“-zischend mit dem Finger auf Sie zeigen, wenn Sie eine Scheibe trockenes Brot verzehren. Aber jedes Kind, das sich die dicke Fleischwurst unverdünnt in den Schlund schiebt, kriegt eins auf die Zwölf. (Auch Kolumnisten hatten mal geizige Im-Krieg-gab’s-nicht-mal-Butter-Eltern und wissen daher ein Lied davon zu singen.)
Doch nun: die Finanzkrise! Wirtschaftskrise! Energiekrise! Weltkrise! Das bedeutet: Die goldenen Jahre sind vorbei! Party is over! Alles wird knapp. Die Not ist wieder da! Und daraus folgt: Weg mit den Sättigungsbeilagen! Ran an die Wurst! Immerhin ist die jetzt … vegan.
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Das Bilderrätsel: Gesucht wird diesmal der Name der Hauptdarstellerin im futuristischen Remake jenes legendären Films, dessen Schlussszene Ihnen bei diesem Photo einfallen könnte. (Har, har: Da kommen Sie ohnehin nie drauf …) (Und wenn doch: „Get a life!“)
Diese Kolumne, die die Welt nicht braucht, erschien ursprünglich 2009 im EVOLVER: Kolumnen, die die Welt nicht braucht #2