„Die Reise ins Glück“ verhält sich zu einem normalen Film in etwa so wie ein LSD-Trip in Las Vegas zu Ibsens „Stütze der Gesellschaft“ in einer dreiminütigen Stummfilmfassung, die als Filmrolle im Schrank vergammelt, ohne daß man davon weiß.
In meiner Heimatstadt gibt es ein kleines, schäbiges Programmkino mit kaum 30 Plätzen. Der Eintritt kostet 5 Euro, die Flasche Bier kann direkt aus dem Kasten abgegriffen werden. Ab und zu kommt die Polizei und macht das Kino dicht, weil es Tsukamoto-Filme zeigt oder mongolische Pflanzenpornos. Ich übertreibe natürlich etwas, aber ich möchte einfach klarstellen, daß man da nicht reingeht, wenn man Richard-Gere-Filme sehen will.
Trotzdem war ich nicht auf das gefaßt, was mich 2005 beim Besuch von „Die Reise ins Glück“ erwartete. Spritzend schäumte mir das Bier aus dem Rachen, als mein Gehirn durch den Hals in den Darm fliehen wollte. Zwei Fragen würgten die Restruinen meines Verstandes: „Wann hört dieser beknackte Blödsinn endlich auf?“ und „Das können die doch nicht ernsthaft gedreht haben!“ Wiederholtes Ansehen auf DVD ändert nichts an dieser einzigartig zwiespältigen Erfahrung.
Die Story kann man nur mutmaßen. Ein netter Junge rettet einem blödem das Leben und wird ihn daher nicht mehr los. Der gute Gustav löst die freundschaftlichen Bande erst, als sie erwachsen sind und er mit seiner neuen Liebe Eva durchbrennt. Gustav wird als Seemann mit Eva und den Kindern glücklich alt und möchte sich auf einer Insel zur Ruhe setzen. Dort jedoch ist der blöde Junge inzwischen zum brutalen Tyrannen „König Knuffi“ aufgestiegen und raubt ihm seine Eva. Die raubt Gustav irgendwie zurück und haut dann ab, und aus ist der Film. Oder so ähnlich.
Ent-setz-lich. Dennoch möchte man als Betrachter nach dem Abspann wieder in die Welt dieses Films zurückkehren, sie geradezu bewohnen. Vielleicht liegt es daran, daß das Boot des sächselnden Seemanns Gustav eine riesige schwimmende Schnecke ist, übrigens eine mit österreichischem Akzent. Vielleicht liegt es am ersten Kommandanten, einem sprechenden Bären mit der Stimme von Harry Rowohlt. Ich erinnere mich auch an ein Kaninchen, eine Eule und Frösche, alle mit nicht näher bestimmten Aufgaben, die man wohl nur dann verstehen kann, wenn man den Film öfter anschaut, als der geistigen Gesundheit zuträglich ist.
Die weitere Besatzung besteht aus schwarz angemalten Übergewichtigen, die sowas wie eine Neger-Kapelle mimen und irgendwann aus Auspuffrohren in das schießen, was wohl Dschungel sein soll. Das Königreich des Widersachers König Knuffi zeigt sich als Prunkalptraum aus Gold und Kitsch, in einer von Farben und Formen glänzenden Überfülle, gegen die sogar das „Brazil“-eske Innere des Schneckenschiffes aufgeräumt wirkt. Dieses Boot penetriert übrigens gegen Ende eine Kirche und verwandelt sich – in deren Beichtstuhl ejakulierend – in eine Zeitmaschine.
Kurz: Sowas haben Sie noch nie gesehen. Garantiert nicht.
„Citizen Kane“ ist ein guter Film, da sind sich die meisten einig. Aber muß man „Citizen Kane“ auch wirklich gesehen haben? Im Rückblick finde ich es irgendwie eine entbehrliche Erfahrung. Ganz anders „Die Reise ins Glück“. Dieser Film ist eindeutig schlecht, oder sagen wir zumindest: nicht gut. Dennoch behaupte ich: Anders als „Citizen Kane“ müssen Sie „Die Reise ins Glück“ unbedingt gesehen haben. Ich gehe sogar noch weiter: Wer diesen Film ignoriert und stirbt, wird in einer Folge von „Ghost Whisperer“ als unbefriedeter Geist zurückkehren.
Zugegeben, man kann sich diese trippende Orgie maximal zwei, drei Mal ansehen, möglichst über mehrere Jahre verteilt, denn das verringert die Gefahr spontaner Selbstentzündung des Rückenmarks. Wer jedoch ganz auf dieses kolossale Vergnügen verzichtet, verschenkt sein Leben – und verpaßt obendrein den grandiosen Ohrwurm „Tellerlip Girl“, Playback-gespielt von erwähnter Schuhcreme-Mohren-Combo, gesungen von Max Raabe.
Allein dieser Act, zu hören auf der Website des Autors, ist den Eintrittspreis oder die DVD-Beschaffung wert. Und dem Hauptdarsteller Gustav Höhne, privat Lastwagenfahrer, wird man in einer fernen Zukunft Denkmäler setzen dafür, daß er sich für dieses mind-melting Machwerk in den umständlichsten Taucheranzug seit Noahs Kutte gezwängt hat.
Dazu kommt, daß DVD-Zuschauer nicht nur in den kritikerspaltenden Genuß des knapp 75minütigen Monumentalepos kommen, sondern sich auch noch vier Stunden Extras reinziehen können. Was sich absolut lohnt: Die Making-ofs beweisen, daß der Film nicht länger das eigentliche Kunstwerk ist; stattdessen war hier die Herstellung des Films die wirkliche Kunst, ein Event-Happing ohnegleichen. Dem staunenden Betrachter wird klar: Hier waren Wahnsinnige am Werk, und das mehrere Jahre lang. Selbst fehlendes Budget hinderte sie nicht, sie klauten einfach. Neben Regie-Chaot Wenzel Storch nimmt sich selbst Terry Gilliam wie ein Buchhalter aus, der mit großem Hollywood-Geld nur fade Hochzeitsvideos drehte.
Ein Film, für den 60 Tonnen Schrott bunt angemalt wurden, kann selbst nicht Schrott sein. Wurde ich von den Anbietern geschmiert, um diese zweifelhafte Zweckentfremdung von 35-mm-Zelluloid so übertrieben zu zelebrieren? Ich schwöre: nein. Seit Jahren schreibe ich Mails an Herrn Storch mit der Bitte um Infos, wann denn endlich die DVD erscheint; doch ich habe nie eine Antwort erhalten und stieß nur per Zufall auf den Release. Ja, so müssen Künstler arbeiten! Ganz für die Kunst leben und uns, dem Publikum, den nackten Arsch zeigen! Ich unterstütze das hiermit ausdrücklich und rufe dennoch auch Sie auf, sich dieses – Ding – auf DVD anzuschaffen. Sie werden es zwar bitter bereuen und mich verfluchen, aber die bewußtseinsmutierende Erfahrung wird es wert gewesen sein.