Von der Gnade, nicht Recht haben zu müssen

Als Dienstleister hat man es immer wieder mal mit problematischen Kunden zu tun. Da werden dann klar kommunizierte Dinge falsch verstanden, schriftliche Briefings im Nachhinein neu interpretiert und vieles mehr. Das alles ist nur allzu menschlich und völlig in Ordnung, denn auftraggebende Personen befinden sich ja ihrerseits in einem Gestrüpp firmenpolitischer Intrigen und menschlicher Tragödien, und für sie ist es am einfachsten, Externe zu bashen, um intern einen Restglanz zu bewahren.

Es ist aber eben doch auch ein Riesenspaß, vor allem, weil eine wachsende Anzahl erwachsener Mitmenschen es für Notwendig halten, Dinge an die große Glocke zu hängen und an den „großen Verteiler“ zu mailen. (Ich dachte wirklich, das hätten wir in den 90ern abgehakt.) Als Dienstleister steht man dann immer wieder vor der Frage, ob man den Hinweis, der den wahren derzeitigen Aufenthaltsort maximaler Blödheit klären würde, ebenfalls an den großen Verteiler zurückschreibt.

Zu den Freuden des Alterns gehört die Gnade, das nicht mehr zu wollen. Mehr noch: Ich persönlich muss inzwischen nicht mal mehr eine einzelne, mich anpöbelnde Person auf ihre Fehler hinweisen (es sei denn, freilich, sie gefährden das Projekt). Neulich hatte ich einen besonders blöden unhaltbaren Vorwurf vorliegen, dessen Substanzlosigkeit man sich auch selbst hätte klarmachen können. In – ich schwöre – allerunschuldigster Unschuld zeigte ich den einfachen Lösungsweg auf, und statt eines „Danke“ oder wenigstens eines beschämten Schweigens erhielt ich einen Nachtritt per Mail (in diesem Medium fühlen sich offenbar besonders viele bemüßigt, dem Schlechten in ihnen freien Lauf zu lassen).

Man denke sich nur: Dieser unglückliche Mitmensch hat fünf Minuten seines Lebens verschwendet, nur um mir irgendwie reindrücken zu können, dass am Ende doch er im Recht gewesen wäre und nicht ich. Ich hätte nun, den klassischen Spielregeln folgend, meinerseits ebenfalls fünf Minuten meines Lebens verschwenden können, um zu argumentieren, warum man das auch anders sehen kann, weil ja nämlich in Wirklichkeit ich ich ich etc pepe…

Ich habe darauf verzichtet (und statt dessen diesen Beitrag hier verfasst, der natürlich seinerseits als ultimatives Meta-Rechthaben-wollen angreifbar ist.).
Und ich bemerke, dass ich das immer öfter tue: auf das Rechthaben verzichten. Nicht aus Angst, einen Kunden zu vergraulen – meine Dienstleistung ist ja nicht „Unterwürfigkeit“ -, sondern weil es die Mühe nicht lohnt. Niemand wird schlauer, wenn man ihm sagt, wie dumm seine Frage und sein Vorwurf sind. Zugleich ist ja immerhin auch möglich, dass ich im Unrecht bin, mich irre, und die Große (eitle) Verteidigungsrede also völlig vergebens halte. Also kann man sich auch entspannen (wenn man das kann). Daher empfinde ich es zunehmend als Gnade, nicht mehr Recht haben zu müssen.

Man denke nur an all die Meetings, in denen von zehn Konzepten nur eines überleben kann. Ein Großteil der Zeit in ihnen wird nur damit verbracht, dass die Vertreter von neun nicht überleben werdenden oder nicht überlebt habenden Konzepten wortreich „beweisen“, dass sie mit ihrem Konzept aber doch Recht gehabt hätten, irgendwie. Das alles könnten wir uns sparen, wenn wir einfach öfter einfach Mal darauf verzichten, Recht haben zu müssen. Dieses verbissene Siegen-wollen ist kaum weniger peinlich als interviewte Fußballer, die nach dem 0:5 wortreich erklären, warum man *eigentlich* hätte gewinnen *müssen*.

Alles verschwendeter Atem. Wenn das „Game Over“ blinkt, ist das Spiel vorbei – und das bedeutet ja auch, dass ein neues beginnt. In dem Film „Ed Wood“ telefoniert der legendäre Regisseur nach seinem ersten, miesen Streifen mit seinem enttäuschten Produzenten.

Ach wirklich? Der schlechtes Streifen, den Sie je gesehen haben, soso. – Na, macht nichts: Der nächste wird besser! Hallo? Hallo?

„Der nächste wird besser!“ Das ist eine Haltung, die ich gut finden kann.